Interview mit Yannick Frich
Wann
und wie kamst du das erste Mal mit Filmkunst in Kontakt?
Die Wurzeln liegen in meiner Familie: Mein Vater und mein Bruder
sind bildende Künstler. Als ich ein Kind war hatte mein Vater
als Kunstlehrer die Möglichkeit, von seiner Schule eine der
damals noch seltenen Videokameras auszuleihen. Mit dieser Kamera
hatte ich als fünf- bis achtjähriger schon etliche Videofilme
gedreht und außerdem mit einer Super-8-Kamera Stop-Motion-Filme
erstellt. Wahrscheinlich liegt hier der Ursprung dafür, dass
ich nach Jahren im Musik- und Designbereich jetzt wieder vom Filmemachen
träume. Außerdem habe ich bei uns zu Hause früh
Trickfilme und Filme von Jacques Tati oder Charly Chaplin kennengelernt,
die man im Fernsehen selten zu sehen bekommt.
Was
hat dich so begeistert, dass du nun selber in dieser Branche tätig
bist?
Es gibt zwei Einflüsse, die zusammenkommen: Zum einen ist
es der Reiz am Visuellen, Bildkomposition und kreativer Gestaltung,
die durch die künstlerische Tätigkeit meiner Eltern
in meiner Kindheit schon allgegenwärtig war. Zum andere war
ich den Gefühlen, die durch Filme im Zuschauer ausgelöst
werden, immer schon sehr erlegen. Freude, Schmerz und Spannung
haben mich beim Filmeschauen immer so stark in Ihren Bann gezogen,
dass ich derartig emotionale Welten unbedingt selbst inszenieren
wollte. Filmemachen ist für mich die Ausdrucksform, die dem
Leben selbst am nächsten kommt, wenn es um das Erzeugen von
Gefühlen geht. Gibt es außer dem Leben etwas anderes,
was einen so sehr berühren kann wie ein Film? Bilder, Musik,
Geschichten all das bündelt sich im Film.
Was hat dich zur Produktion von Delivery motiviert und inspiriert?
Ich produzierte Delivery weil ich Anfang 2005 eine Diplomarbeit
im Fach Medien-Design an der Fachhochschule Mainz abgeben musste.
Den Druck des Abgabetermins wollte ich nutzen, um mich aus dem
Stress des Auftrags-Designers in Richtung Film herauszubewegen.
Inspiriert wurde ich von Filmemachern wie Jacques Tati (Playtime),
David Fincher (Fight Club, The Game), Jean-Pierre-Jeunet (Amelie,
Stadt der verlorenen Kinder), Ridley Scott (Gladiator, Alien),
Bob Zemeckis (Contact, Forrest Gump) und anderen. Auch Künstler
wie David LaChapelle, Dali, Caspar David Friedrich oder H.R. Giger
spielten eine Rolle.
Welche
Ziele hattest du vor Augen bevor du diesen Film gemacht hast?
Die Entstehung der Geschichte verlief sehr pragmatisch. Ich hatte
bestimmte zusammenhanglose Fragmente, die ich in 2-monatigem Nachdenken
zu einer simplen Geschichte verknüpfen musste. Diese sahen
beispielsweise so aus: 1. Ich wollte eine runde Geschichte mit
einem Anfang und einem schlüssigen Ende, als keine offene,
abstrakte Erzählung. 2. Ich hatte bestimmte Szenen wie die
große Stadt oder die fliegenden Vehikel im Kopf, die ich
umsetzen wollte. 3. Ich hatte bei früheren Studentenarbeiten
schon immer die Verknüpfung und das Spiel mit den Dimensionen
als Thema und wollte das auch hier weiterführen. 4. Da ich
keine Erfahrungen mit Character-Animation hatte musste ich mich
auf eine einzelne Person beschränken, die am besten nicht
sprechen sollte. 5. und so weiter
Aus diesen Puzzlestücken
musste ich ein schlüssiges Konzept knüpfen, was mir
irgendwann während eines Urlaubs am Strand gelang.
Entsprachen
die ursprünglichen Ideen deines Projektes dem Endprodukt
oder gab es viele spontane Änderungen z.B. in der Storyline
oder in der Machart?
Weitgehend habe ich die Story und Erscheinung des Films so umgesetzt,
wie ich sie zu Beginn im Kopf hatte. An einzelnen Stellen gab
es aber auch Ergänzungen. So ist beispielsweise die Taschenlampen-Szene
in der Mitte des Films erst ganz zum Schluss einem Freund von
mir in den Sinn gekommen. Vorher gab es hier zur Erklärung
der Funktion der Kiste nur die Szene, in der er die Schokokugel
in die Kiste fallen lässt. Auch die Titelsequenz mit dem
Flug durch die Blume habe ich erst am Ende der Produktion entwickelt.
Kannst
du kurz den Arbeitsablauf von der Idee bis zur Veröffentlichung
von Delivery zusammenfassen?
Zunächst benötigte ich zwei Monate, um aus meinen einzelnen
Ideen eine schlüssige Geschichte zu entwickeln. In den darauffolgenden
4-6 Wochen erstellte ich die 10 wichtigsten 3D-Modelle des Films:
Den Einsiedler, das Postauto, die Kiste, die Blume, die Stadt,
die Wohnung, und so weiter
Nach 4-6 Wochen begann ich dann,
die ersten Szenen zum Rendern zu schicken. Das bedeutet:
Ich animiere eine Szene am Computer in einer technischen Softwareumgebung,
diese muss dann jedoch noch Bild für Bild vom Computer berechnet
werden, denn erst dann werden Schatten, Spiegelungen, feine Oberflächenstrukturen
etc. berechnet. Dieser Vorgang dauerte pro Einzelbild ca. 5 bis
30 Minuten. Vom zweiten bis zum fünften Monat der Produktion
waren daher 10 Computer ununterbrochen damit beschäftigt,
die 14.000 einzelnen Bilder von Delivery zu berechnen.
In den letzten 1-2 Monaten wurde dann der Schnitt, die Musik und
die Nachbearbeitung, z.B. Dolby-Digital-Ton oder 35mm-.Filmherstellung,
zur Haupttätigkeit. Nach 6 Monaten war die Video-Version
fertiggestellt und nach 7-8 Monaten hatte ich die finale 35mm-Filmrolle
in den Händen.
Welche
Arbeit hat dir beim Erstellen des Filmes am meisten Mühe
bereitet?
Für mich ist das Schwierigste der inhaltliche Teil. Egal
ob man Realfilm, 3D-Animation oder Cartoon produziert, was man
zu Beginn erst einmal braucht ist die richtige Story. Man braucht
dafür keinen Computer, nicht einmal ein Blatt Papier, sondern
nur ein paar Sätze im eigenen Kopf. Bei Delivery habe ich
2 Monate dafür gebraucht und viele Geschichten wieder verworfen.
Momentan entwickele ich einen neuen Kurzfilm und habe vor einem
Jahr angefangen, über die Geschichte zu grübeln. Die
Wichtigkeit und die Herausforderung, die in der guten Idee liegen,
lässt alles was danach kommt verhältnismäßig
einfach erscheinen. Wenn die Geschichte stimmt muss man sie nur
noch abarbeiten.
Warum
hast du dich für das Animieren entschieden?
Ich würe eigentlich am liebsten Filme wie David Fincher oder
Jean-Pierre Jeunet umsetzen, also Realfilm mit realen Schauspieler
und realen Drehorten, jedoch ausgefüllt mit aller zur Verfügung
stehender Technik um eine Geschichte perfekt zu erzählen
und visuell unendlich präzise zu komponieren. Dass ich momentan
komplett computergenerierte Bilder produziere liegt eher an der
Verfügbarkeit der Mittel, denn hier kann ich alleine mit
meinen Rechnern alles umsetzen ohne um das Geld und die Zeit anderer
Leute kämpfen zu müssen. Das wird sich wahrscheinlich
ändern, wenn ich meinen zweiten Kurzfilm abgeschlossen habe
und dann vielleicht in Richtung langfilm gehe.
Was
ist die Kernbotschaft des Filmes? Hat der Film eine Botschaft/Symbolik?
Während der Produktion habe ich darüber nicht nachgedacht,
aber als der Film fertig war habe ich bemerkt, dass es ein Umweltfilm
ist. Sozial betrachtet handelt er von der Wichtigkeit der Entscheidung
jedes einzelnen Individuums. Der Zustand unserer Welt ist ganz
offensichtlich sehr besorgniserregend, weshalb für mich schon
immer eine wichtige Frage war, wie ich mich selbst in dieser Welt
verhalten soll. Müssten wir nicht eigentlich alle morgen
aufhören Auto zu fahren? Ich kenne nicht die Lösung
für die Probleme dieser Welt, daher ist Delivery
eine Utopie - ein metaphorischer Wunschtraum.
Wie
hast du dir all das Wissen erarbeitet, damit "Delivery"
entstehen konnte?
Ich habe in den letzten 10 Jahren Tage und Nächte mit meinen
Computern verbracht und Software aus allen kreativen Bereichen
ausprobiert. In der 3D-Animation fließt diese Erfahrung
mit Grafik, Ton & Musik, Schnitt u.s.w. in einem großen
Ergebnis zusammen. Wichtig war daher das Arbeiten in vielen verschiedenen
Bereichen und außerdem schlicht und einfach das Investieren
von verdammt viel Zeit
Wie
viele Menschen haben insgesamt an diesem Projekt gearbeitet?
Die zwei Brüder Andreas und Matthias Hornschuh aus Köln
haben die Musik komponiert. Der visuelle und erzählerische
Teil stammt von mir. Damit sind wir drei Personen im Kern-Team.
Unterstützende Hilfe kam von Holger Jung, Nils Keber und
Tilo Busch für den Ton sowie Frank Sennholz und Fedor Binka
beim Motion Capturing. Von meinem damaligen Professor Tamas Waliczky
und vielen Freunden habe ich Ratschläge und Kritik bekommen,
außerdem haben mir einige Leute ihre Computer zum Rendern
geliehen.
Was
mich am Film sehr beeindruckt, sind die Schatten, das Licht und
die Spiegelungen. Wie hast du das hingekriegt?
Das sind die Dinge, die zum Großteil von der Software selbständig
berechnet werden. Die Kunst bei Licht und Schatten liegt vor allem
darin, die Positionen der Lichtquellen und das exakte Verhalten
des Lichts in der Software zu definieren. Dafür braucht man
Wissen und Erfahrung vor allem über das indirekte Licht,
das jeder angestrahlte Körper auf seine Umgebung abgibt.
Die komplexe Berechnung des letztendlich sichtbaren Ergebnisses
liefert dann der Rechner, das ist der Vorgang der bei jedem einzelnen
Filmbild so lange dauert.
Die
Bewegungen des Mannes in Delivery hast du mit der sogenannten
Motion Capturing Technik animiert. Was sind deine Erfahrungen
mit dieser Technik? Würdest du im Nachhinein das Motion Capturing
wieder bevorzugen?
Motion Capturing wird hauptsächlich für realistische
Bewegungen in großen Effekt-Produktionen oder Commercials
verwendet. In der kulturell-künstlerischen Trickfilmwelt
ist Motion Capturing eher verpönt. Ein Animator, der Motion
Capturing benutzt wird hier ungefähr so betrachtet wie ein
Musiker, der mit Vollplayback auftritt anstatt selbst zu singen.
Ich persönlich finde das für das Gesamtergebnis jedoch
nicht entscheidend. Die Bewegung des Characters ist nur einer
von vielen Aspekten wie Bildkomposition, Timing, Licht, Kamera
u.s.w. die ich irgendwie in die Tat umsetzen musste. Da ich vorher
noch nie einen Character animiert hatte war das für mich
eine große Hilfe. Auch in Zukunft werde ich wahrscheinlich
einfach die Technik wählen, die mich am direktesten zu meinem
Ziel bringt, wobei man jedoch auch wissen muss, dass Motion Capturing
durch die aufwändige Nachbearbeitung der Daten eigentlich
kaum Zeit einspart, sondern nur mangelnde Animationskunst kompensiert.
Hast
du während der Produktion des Filmes geahnt was für
ein Potential darin steckt? Wusstest du im voraus, dass Du
mit Delivery so Erfolg haben würdest?
Nein. Ich habe zwar so ein Gefühl gehabt, dass der Film am
Ende gut funktionieren würde, aber da es mein erster Film
war (abgesehen von kleinen Studentenfilmen) konnte ich kaum einschätzen,
wie sehr ich meine eigene Produktion überhaupt objektiv bewerten
kann. Ich hatte damit gerechnet, dass der Film vielleicht auf
einer Handvoll Festivals läuft. Daher ist jede Auszeichnung
und jede Festivalteilnahme wie ein Geschenk für mich. Diesen
großen Vorteil nichts zu verlieren zu haben
werde ich bei meinem zweiten Kurzfilm wahrscheinlich vermissen.
Was
zeichnet für dich ein Kurzfilm aus?
Um einen Kurzfilm zu mögen brauche ich meistens einen gewissen
Grad an Erzählung und ein einzigartiges, originelles Konzept.
Ein perfektes Beispiel für mich ist beispielsweise Das
Rad (Regie: Heidi Wittlinger, Chris Stenner und Arvid Uibel).
Es gibt aber auch abstrakte, wenig narrativen Filme, die mich
begeistern wie z.B. The Fall of Antioch (Regie: Stephan
Betz, Magid Hoff und Florian Witzel). Das gefährlichste sind
für mich die Längen im Timing eines Films, die jeden
Regisseur, der seine eigenen Bilder liebt verführen können,
wovon ich auch Delivery nicht freispreche.
Kann
ein Musikvideo für dich als Kunst angesehen und akzeptiert
werden, oder ist es vielmehr ein Werbefilm, das den Plattenfirmen
nur zur Steigerung des Umsatzes dient?
Auf jeden Fall sind Musikvideos für mich eine hohe Kunstform.
Natürlich gibt es rein kommerzielle und schlechte Musikvideos,
aber viele sind geniale Kurzfilme, die durch Plattenverkäufe
finanziert werden. Musikvideos sind eine kreative Oase in der
Medienwelt, die ich irgendwann auch gerne einmal betreten möchte.
Sind
die darstellenden Künste (und damit meine Ich vor allem die
Film- und Animationskunst) heute in der Kunstszene integriert
oder sind es immer noch die bildenden Künste die diese beherrschen?
Wenn man die Kunstszene als die Welt der Galerien und Museen betrachtet
sind Filme und Animationen wie ich sie mache dort sicherlich kaum
vertreten im Gegensatz beispielsweise zur Fotografie. Abstrakte
Videokunst und Installtionen wie beispielsweise die von Bill Viola
oder Nam June Paik befinden sich in der Kunstszene jedoch auf
einem Level mit der Malerei oder Skulptur. Von dort aus gibt es
einen fließenden Übergang über das Kino hin zum
Fernsehen bis zum Internet und mit Sicherheit noch darüber
hinaus, in dem jede Kunst ihren Platz findet. Meinen persönlichen
Lieblingsplatz sehe ich dabei am ehesten im Kino und ich habe
nicht das Gefühl, dass der Raum, den Animationskunst in der
Welt hat, zu klein wäre.
Letzte
Frage: Wenn Dich ein Laie in diesem Gebiet fragen würde,
was deine berufliche Tätigkeit ist, was wäre deine Antwort?
Ich erstelle digitale Bildwelten, indem ich mit der Hilfe einer
Vielzahl von Computer-programmen und eigener Kreativität
die Funktionen von Kameramann, Autor, Designer und Maler zugleich
einnehme.
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